Montag, 20. Juni 2016

von miesen Straßen und Heuschrecken

+++Qandyaghasch+++Schalqar+++Aralsk+++Lake Qamystybas+++

Sonntag morgen landete ich mit dem Zug in Qandyaghasch.
"Woher?", "Wohin?" und "Können wir mal deinen Reisepass sehen?" waren die ersten Fragen der Uniformierten auf dem Bahnsteig. Die Leute sind ziemlich nervös, nachdem in Aqtöbe vor einer Woche ein angeblicher IS Terroranschlag mit 20 Todesopfer verübt wurde.
Noch öfters sah ich Polizisten, teilweise in kompletter Kampfmontur, die Autos kontrollierten oder meinen Pass sehen wollten. Und das auf dieser kaum befahrenen Strecke.
Kamele

Ne dicke vertrauensvolle Linie verbindet die Ortschaften Qandyaghasch und Schalqar auf meiner Kasachstankarte.
In echt ist die Strecke teilweise nicht befahrbar und so dünn besiedelt, dass man höllisch aufpassen muss genug Wasser mitzunehmen.

Wenn man allerdings einem Auto begegnet so hält dieses auch an und man redet kurz miteinander.
So traf ich zum Beispiel einen Ranger, der mir meine Reisegeschichte nicht abnahm und mit einem zwinkernden Auge behauptete:
"Du bist kein Tourist! Du bist ein Spion! Nen amerikanischer Spion! Du bist ein böser Mann!"
Wie erbärmlich für die USA, wenn sie so nen verwahrlosten Typen in die Steppe schicken würden.
...
Bei einer weiteren Begegnung fragte mich ein Typ:
"......Wasser?"
"Nein, danke. Ich habe noch genug."
"Bekomme ich etwas von dem Wasser?"
Er nahm nen Schluck meines kostbaren Wassers in den Mund und rotzte es auf die Straße ohne es zu trinken.
"Wasn Arsch!" dachte ich.
Erst nach ner ganzen Weile ist mir eingefallen, dass er wahrscheinlich praktizierender Muslim ist und im Ramadan tagsüber nichts trinken darf. So half ich ihm beim Schummeln.
...
Die einzige Möglichkeit meine Vorräte auf der 260 km Strecke aufzufüllen war in nem kleinen Kuhdorf. Hier gab es tatsächlich ein Geschäft und auch ein Kaffee.
Das mit dem Kaffee behauptete zumindest der 12 jährige Karim.
"Ich bring dich dahin!"
Unterwegs trafen wir seinen Kumpel Rastan, 6 Jahre. Nachdem dieser sich mit seinem Rad gemault hatte, mussten wir schieben. Es dauerte ewig. Unterwegs wurde ich abgeklopft: "Hast du eine Oma?"
"Hast du Snickers?"
"Hast du Schnaps?"
"Hast du einen Opa?"
"Hast du einen Bruder?"
"Hast du ein Telefon?"
"Ist es ein iPhone?"
"Samsung Galaxy?"
"Kennst du Real Madrid?"
"Hast du Kekse?"
"Kann ich das Telefon mal sehen?" ...
Ich schob bei 30 Grad mein sauschweres Rad über die Sandstraßen. Irgendwann kam ich mir verarscht vor. Ich denke es gibt gar kein Kaffee. Erst recht nicht hier. Mitten in der Steppe, weit außerhalb des Dorfes - wir hatten schon ganz schön Strecke gemacht!
So teilten uns meine Pepsi und kommentierten das mit nem Rülpswettbewerb, in denen ich die Stifter vernichtend schlug.
Triumphierend und ohne Kaffee machte ich mich wieder auf den Weg.
...
Mit den meisten Leuten die auf der Straße anhielten, musste ich ein Foto machen. Ziemlich oft bekam ich auch was geschenkt. Käse, eiskaltes Wasser oder Milch. Ich habe gehört, das Pferdemilch ne drogenähnliche Wirkung hat.
Kann mir das jemand bestätigen?
An nem Bahnübergang hatte Akim Dienst. Er ist Schrankenwart.
Der Einfachheit halber sind dieSchranken einfach immer geschlossen und werden nur für herannahenden Autos geöffnet. Das passiert seltener, als das ein Zug durchfährt.
"Willst du Wasser oder nen Tee?"
"Tee ist gut!" sagte ich.
Und so saßen wir bei ihm im Kabuff. Wir versuchten uns ein wenig zu unterhalten. Mit Händen und Füßen eben.
"Wieviele Kinder hast du?"
"Acht!" sagte er und zeigte die Anzahl mit seinen Fingern. Von seinem kleinen Finger fehlten ein paar Glieder. 
"Das arme Kind..." dachte ich.
Für die kälteren Tage gabs nen kleinen Ofen in seinem Verschlag. Er öffnete die Ofentür - dieser war voll mit Papiermüll- und fingerte in ihm herum. Eine Wodkaflasche und nen keimigen Becher brachte er zu Tage.
"Kennst du das? - Wodka!" und schenkte sich einen ein.
Mal gut, dass meine Zugfahrt mit der kasachischen Bahn schon vorbei ist.

Die Tage sind sehr heiß und die Sonne ballert erbarmungslos. Ich habe mir vorgenommen der größten Hitze zu entfliehen, indem ich die Mittagszeit in nem schattigen Platz verbringe. In einer Region ohne Bäume und Sträucher muss man ziemlich kreativ sein.

In Schalqar entschied ich mich für die bessere, aber auch deutlich längere Strecke nach Aralsk. Keine Experimente mehr! Auf ner ziemlich neues Asphaltstraße mit ordentlichem Rückenwind und wenig Verkehr gings zügig nach Aralsk.
Ich fuhr mir den zweiten Platten mit meinen "unplattbar" Schwalbe-Reifen ein. Kann die mal einer verklagen? War mir aber auch irgendwie egal, ich flickte ihn schnell und beeilte mich nach Aralsk zu kommen. Hier warteten Sonja und Aki schon auf mich.


Zusammen mit der Französin Twet streunerten wir durch die Stadt. Die Jugendlichen hatten ihren letzten Schultag und bevölkerten mit totschicken Anzügen und Kleidern kostümiert die Innenstadt. Überall schöne Menschen und wir.


Samstag brach die Apokalypse über uns herein. Der Himmel über der Straße verdunkelte sich, als riesige Heuschreckenschwärme darüber hinweg zogen. Manche landeten auf der Straße. Das Geräusch, als ob man in einen Kartoffelchips beißt, ist vergleichbar mit dem unter den Rädern zermatschender Insekten.
Die Straße verfärbte sich über weite Strecken gelblich.
Und stinken tut das auch.

Unsere erste gemeinsame Radtour brachte uns an einen See. Eine einfache Hütte aus Spanplatten bot eine Spitzenunterkunft.
Einige Leute machten hier Urlaub, saßen zusammen, spielten Gitarre bis spät in die Nacht und bereiteten ihr Schaschlik zu.

Immer wieder rechneten wir die verbleibenden Kilometer den notwendigen Tagen entgegen um herauszufinden wie wir es anstellen könnten einen ganzen Tag hier zu verbringen. Aber es ging nicht auf.

Wir werden jetzt bis Shimkent wieder als Radkarawane unterwegs sein.
Ich freue mich auf die gemeinsamen Tage.



6 Kommentare:

  1. Na jetzt wird's ja richtig abenteuerlich. Weiter so und noch viel Spaß.

    AntwortenLöschen
  2. Hey Onkel Rübe...
    Da haben wir ja was gemeinsam.

    AntwortenLöschen
  3. Oh ja, stimmt. Aber deine Bilder und Berichte sind wirklich herrlich

    AntwortenLöschen
  4. Hallo Chrissi
    nach 5 Wochen ist deine Karte aus Moskau endlich eingetroffen. Besten Dank.
    Auf jedem 2.Foto bist du mit den berüchtigten 2 W (Wodka und Weiber). Also
    denk an das Messer im Rücken.
    Sonst wünsch ich Dir immer eine handbreit Wasser unterm K... äh... in der Flasche

    Mit bärigen Grüßen
    Dein Freund Janosch

    AntwortenLöschen
  5. Hey Janosch... 5 Wochen sind echt ne Menge. Aber so wie ich die russische Post erlebt habe sind die wohl sehr gewissenhaft. Und das brauch Shi seine Zeit.
    Ich hoffe deinen Rudel gehts gut und Gabi tuppert mir fleißig die ganzen Leckerein ein, damit ich kulinarisch zumindest nichts aus Bornstedt verpasse.
    Grüße an alle
    Christian

    AntwortenLöschen
  6. Sehr lustig (und passend) auch die erste (und Einzige) Bildunterschrift...hast halt Sinn für Humor und nimmst dich selber nich zu ernst...very sympathisch

    Hoffe dir gehts gut und sende dir liebe Grüße! Du fehlst hier ganz schön in Berlin und man merkt an einigen Stellen, dass es eben doch nich so gut ohne dich geht.

    So und nune Jalla...her mit dem nächsten Eintrag, so dass wir wenigstens aus der Ferne mitfiebern können

    AntwortenLöschen